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Überaktive Blase: Definition, Ursachen & Therapie

Synonyme: hyperaktive Blase, Reizblase, OAB
Engl.: Overactive Bladder (OAB)
ICD-Code: N32.8
Verbreitung: 16% aller Erwachsenen [1].
Geschlechterverteilung: Frauen: 8-42%, Männer: 10-26% [1].
Altersverteilung: Häufigkeit steigend mit zunehmendem Alter.
Häufigste Ursachen: Veränderungen in Blasenmuskel bzw. Blasenwand oder deren Nervenversorgung.
Selbstdiagnose möglich: Nein.
Selbstbehandlung ausreichend: Nein.
Ab wann zum Arzt: Wiederkehrender starker Harndrang, vermehrtes nächtliches Wasserlassen, ungewollter Harnabgang.

Eine überaktive Blase, kurz als OAB (engl.: over-active bladder) bezeichnet, ist ein häufiges und belastendes Beschwerdebild, das sowohl Frauen als auch Männer betrifft. Im Vordergrund der Beschwerden steht ein kaum zu kontrollierender Harndrang, der mit oder ohne ungewolltem Harnabgang (Dranginkontinenz) einhergehen kann. Trotz dem daraus resultierenden Leidensdruck, suchen nur wenige Betroffene ärztliche Hilfe auf. Der folgende Artikel wird dem Leser erklären, was sich hinter der überaktiven Blase verbirgt und wie die Beschwerden gelindert werden können.

Was versteht man unter einer überaktiven Blase?

Das Beschwerdebild der überaktiven Blase (OAB) wird von der Internationalen Kontinenzgesellschaft als die Kombination folgender Symptome definiert:

Ein starker und kaum kontrollierbarer Harndrang, der ein sofortiges Aufsuchen der Toilette erfordert; er wird als sogenannter imperativer Harndrang bezeichnet. Dieser führt in der Regel zu dem Symptom des häufigen Wasserlassens (> 10maliges Wasserlassen in 24h). Des Weiteren zählt ein vermehrtes nächtliches Wasserlassen (Nykturie) zum Beschwerdebild der OAB [2].

Die überaktive Blase kann mit oder ohne ungewolltem Harnabgang einhergehen. Kommt es in Kombination mit oben genannten Symptomen zum ungewollten Harnabgang, so spricht man definitionsgemäß von einer Dranginkontinenz [1]. Je nachdem ob eine Inkontinenz besteht oder nicht, wird die OAB als „nasse“ oder „trockene“ (engl. „wet“ bzw. „dry“) OAB bezeichnet.

Um die Diagnose einer überaktiven Blase zu stellen, müssen mögliche Ursachen, die zu einem ähnlichen Beschwerdebild führen können (z.B. Blasensteine, Harnwegsinfekt, Blasentumor) ausgeschlossen werden; es handelt sich demnach um eine Ausschlussdiagnose, der keine fassbare Ursache zugeordnet werden kann [1].

Wie kommt es zu einer überaktiven Blase?

Abhängig von Trinkmenge und Körpergewicht produzieren die Nieren täglich etwa 1 bis 2 Liter Harn (Urin). Dieser wird über die Harnleiter in die Blase transportiert. Bei der Blase handelt es sich um ein muskuläres Hohlorgan, das der Speicherung von Urin dient. Zahlreiche Nerven informieren das Gehirn durchgehend über deren Füllzustand. Ist die Blase leer oder nur gering gefüllt hemmt das Gehirn ein Zusammenziehen (Kontraktion) des Blasenmuskels. Wird die Füllkapazität der Blase erreicht, so tritt Harndrang ein. Wenn die Toilette aufgesucht wird, um dem Harndrang nachzugegeben, „enthemmt“ das Gehirn den Blasenmuskel – er kontrahiert und die Blase wird entleert.

Bei der überaktiven Blase liegt eine willkürliche Aktivität des Blasenmuskels vor [3]. Warum genau es zu einer solchen „Hyperaktivität“ kommt, ist bis heute nicht ausreichend geklärt. Man weiß jedoch, dass ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren dazu beitragen; hierzu zählen Veränderungen in der Blase selbst oder in den blasenversorgenden Nerven und den dazugehörigen Gehirnarealen [4].

Wenn die Ursache für die OAB am ehesten auf ein Nervenschaden zurückzuführen ist, so spricht man von einer neurogenen (= durch das Nervensystem bedingte) OAB. Ursächlich hierfür können Erkrankungen wie die Multiple Sklerose, ein Schlaganfall oder Parkinson sein [4]. Wenn keine klare Ursache gefunden werden kann, so spricht man von einer idiopathischen OAB [4].

Man weiß heute, dass Alter, Entzündungen, Hormonmangel und Übergewicht zu der Entstehung einer OAB beitragen können [1][4]. Des Weiteren kann die OAB ein psychosomatisches Beschwerdebild darstellen [1].

Wie können die Beschwerden gelindert werden?

Da der OAB keine fassbare Ursache zu Grunde liegt, kann diese nicht gezielt behoben werden. Dementsprechend kann keine Heilung angestrebt werden [4]. Es existieren jedoch zahlreiche Methoden, um die Symptome zu lindern.

Prinzipiell können Allgemeinmaßnahmen, wie z.B. eine Gewichtsnormalisierung bei Übergewicht und der Verzicht auf koffeinhaltige Getränke, zu einer Besserung der Beschwerden führen. Studien zeigen außerdem, dass eine überaktive Blase gehäuft bei Rauchern auftritt; demnach kann ein Verzicht auf Zigaretten helfen [4].

Ein wichtiger Grundpfeiler der Behandlung ist eine sogenannte Verhaltenstherapie. Zu dieser zählen Blasen– und Beckenbodentraining sowie ein Flüssigkeitsmanagement [2][4]. Beim Blasentraining wird erlernt, den Gang zur Toilette hinauszuzögern und so den Zeitraum zwischen den einzelnen Toilettengängen allmählich zu verlängern [1][4]. Das Beckenbodentraining hilft den Beckenboden und somit den Verschlussmechanismus der Blase zu stärken. Es kann gegebenenfalls durch eine Elektrostimulation oder ein Biofeedback-Training unterstützt werden; hierbei wird der Beckenboden mittels Elektroden sanft und schmerzfrei passiv stimuliert bzw. das aktive Anspannen der Muskulatur per Bildschirm oder Lautsprecher hör bzw. sichtbar gemacht.

Bringen oben genannte Therapieoptionen nur unzureichende Erfolge, so können Medikamente zum Einsatz kommen. Hier spielen vor allem sogenannte Anticholinergika, die eine dämpfende Wirkung auf die Blasenmuskulatur aufweisen, eine Rolle.

Eine weitere Therapieoption ist das Einspritzen von Botulinumtoxin A in den Blasenmuskel [1]. Botulinumtoxin A ist ein Nervengift, das die Weiterleitung von Nervensignalen blockiert und auf diese Weise das Zusammenziehen des Blasenmuskels hemmt. Es sollte nur dann zum Einsatz kommen, wenn vorherige Optionen versagen. Der Eingriff kann zu unerwünschten Nebenwirkungen führen und sollte daher mit Hilfe des behandelnden Arztes gründlich überdacht werden. Die Wirkung dieser Maßnahme hält in der Regel bis zu 9 Monaten an [1].

Letzte Therapieoption ist ein sogenannter Blasenschrittmacher (sakrale Neuromodulation) [1].

Neben oben genannten Therapieoptionen sollten nötigenfalls Hygieneprodukte, wie z.B. Binden, zum Einsatz kommen. Diese schützen vor Nässe und Geruchsbildung und ermöglichen eine Teilnahme am sozialen Leben.

Welche gesundheitlichen Risiken gehen mit einer überaktiven Blase einher?

Eine überaktive Blase ist nicht nur lästig, sondern kann eine ernstzunehmende seelische Belastung darstellen. Betroffene ziehen sich oftmals zurück – Vereinsamung und Depression sind nicht selten die Folge. Ungewollter Harnabgang und die dadurch entstehende Nässe im Intimbereich kann außerdem zu Hautirritationen führen. Des Weiteren kommt es besonders bei älteren Menschen, durch das schnelle Aufsuchen einer Toilette, zu vermehrten Stürzen und somit Knochenbrüchen [4]. Befragungen belegen, dass die allgemeine Lebensqualität von Menschen mit einer überaktiven Blase deutlich niedriger ist, als die gleichaltriger Menschen ohne OAB [3]. Leider suchen Betroffene jedoch nur selten ärztliche Hilfe auf. Die Beschwerden werden als „normale Altersbeschwerden“ abgetan oder es wird davon ausgegangen, dass keine Behandlungsoptionen bestehen [3]. Dies ist jedoch nicht der Fall; eine Linderung der Beschwerden ist möglich und ein Arztbesuch wird daher immer empfohlen.

Quellen:

[1] A. Tiemann: „Überaktive Blase“., http://www.urologenportal.de/patienten/patienteninfo/patientenratgeber/harninkontinenz.html, 16.03.2018

[2] P. Stölting: „Neue Richtlinien zur überaktiven Blase.“, https://www.rosenfluh.ch/media/arsmedici/2012/24/Neue_Richtlinien_zur_ueberaktiven_Blase.pdf, 16.03.2018

[3] M. Goepel: Patientenratgeber Blasenstörungen bei Erwachsenen und Kindern. Springer-Verlag, 2013, S. 19f.

[4] R. Tunn, E. Hanzal, D. Perucchini: Urogynäkologie in Praxis und Klinik. Walter de Gruyter Verlag, 2009, S. 186ff., 191ff.

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