Synonyme: | Stressinkontinenz |
Engl.: | stress incontinence |
ICD-Code: | N39.3 |
Geschlechterverteilung: | 95% Frauen, 5% Männer |
Altersverteilung: | 40-49 Jährige: 5%, 50-59 Jährige: 10%, 60-79 Jährige: 14%, >80 Jährige: 36% |
Häufigste Ursachen: | Schädigung oder altersbedingte Schwäche des Schließmuskelapparats |
Selbstdiagnose möglich: | Ja. Zur Ursachenabklärung aber Arzt erforderlich |
Selbstbehandlung ausreichend: | Je nach Schweregrad |
Ab wann zum Arzt: | Bei anhaltendem unwillkürlichem Abgang von Urin |
Die Belastungsinkontinenz, früher als Stressinkontinenz bezeichnet, beschreibt eine Form der Harninkontinenz, bei der es unter körperlicher Belastung zum unkontrollierten Harnabgang kommt. Die Begrifflichkeit führt oft zu Missverständnissen – es sei daher betont, dass sich die Namensgebung nicht auf emotionalen Stress bzw. emotionale Belastung bezieht. Die Belastungsinkontinenz ist die häufigste Form der weiblichen Harninkontinenz und ist oftmals auf eine Beckenbodenschwäche durch Schwangerschaft oder Entbindung zurückzuführen. Sie kann in unterschiedlichen Schweregraden auftreten und sollte je nachdem individuell therapiert werden [1]. Therapieoptionen reichen hierbei von Allgemeinmaßnahmen und Beckenbodentraining, über eine medikamentöse Therapie, bis hin zu operativen Eingriffen. All dies wird im folgenden Artikel näher erläutert.
Belastungsinkontinenz: Woran kann das liegen?
Der Harn (Urin) wird von der Harnblase über die Harnröhre ausgeschieden. Bei sowohl Männern als auch Frauen weist der Verlauf der Harnröhre einen Durchtritt durch die Beckenbodenmuskulatur auf. An dieser Stelle formen ringförmige Muskelstränge den sogenannten Schließmuskelapparat. Dieser gewährleistet, dass der Urin nicht unkontrolliert abgegeben wird. Beim Toilettengang entspannt sich dieser und die Blase wird vom Urin entleert. Ist der Schließmuskel in seiner Funktion eingeschränkt, kann ungewollter Harnabgang auftreten.
Bei bestimmten körperlichen Tätigkeiten, wie z.B. Treppensteigen oder Husten, kommt es zu einem Druckanstieg im Bauchraum, der wiederum eine Druckbelastung auf Blase und Schließmuskel ausübt. Kann der Schließmuskel diesem Druck nicht standhalten, kommt es zum ungewollten Abgang von Urin, der dann definitionsgemäß als Belastungsinkontinenz bezeichnet wird. Die Belastungsinkontinenz wird hierbei üblicherweise in drei Schweregrade aufgeteilt:
- Grad 1: Geringer Harnverlust bei Husten, Niesen, Lachen
- Grad 2: Deutlicher Harnverlust bei leichter körperlicher Arbeit, beim Treppensteigen oder Aufstehen
- Grad 3: Urinverlust bereits im Stehen und Liegen [2]
Ursache für die Belastungsinkontinenz ist meist eine Überbeanspruchung des Beckenbodens durch Schwangerschaft oder Entbindung oder eine altersbedingte Bindegewebsschwäche [1][3]. Außerdem spielt bei Frauen oftmals ein wechseljahrsbedingter Östrogenmangel eine Rolle [2]. Diese Faktoren erklären, warum besonders Frauen und ältere Menschen von einer Belastungsinkontinenz betroffen sind.
Des Weiteren trägt Übergewicht zur Beanspruchung des Beckenbodens bei und kann so Inkontinenz verursachen oder verschlimmern [3].
Operationen im Beckenbereich können ebenso ursächlich sein [3]. So ist beispielsweise eine Entfernung der Prostata (Prostatektomie) eine der häufigsten Ursachen für eine Belastungsinkontinenz des Mannes.
Wie können die Beschwerden gelindert werden?
Die Behandlung der Belastungsinkontinenz richtet sich stets nach Art und Schweregrad (siehe oben) der Beschwerden. Prinzipiell wird versucht zuerst mit konservativen, das heißt nicht-operativen Maßnahmen, die Beschwerden zu lindern [3]. Hierzu zählen Allgemeinmaßnahmen, wie z.B. eine Gewichtsreduktion im Falle bestehenden Übergewichts. Dies verringert den Druck auf den Beckenboden und kann eine Belastungsinkontinenz positiv beeinflussen. Außerdem sollten die oder der Betroffene schwere körperliche Belastung meiden [4][5]. Besteht eine Verstopfungsproblematik (Obstipation) werden stuhlregulierende Maßnahmen (z.B ausreichend Bewegung und Flüssigkeitsaufnahme, ballaststoffreiche Ernährung) empfohlen, um den Druck im Bauchraum zu reduzieren und starkes Pressen zu vermeiden [5].
Basistherapie einer Belastungsinkontinenz ist das Beckenbodentraining. Dieses sollte anfänglich unter Anleitung eines Krankengymnasten erlernt und dann selbstständig durchgeführt werden. Es stärkt den Beckenboden und somit den Schließmuskelapparat und führt außerdem zu einer besseren Koordination des Beckenbodens; einem Harndrang kann so besser gegengesteuert werden [4]. Manchen Menschen fällt es schwer den Beckenboden gezielt anzuspannen. Hier kann ein sogenanntes Biofeedback-System oder eine Elektrostimulation zum Einsatz kommen: Beim Biofeedback wird dem Patienten mittels akustisch oder visuellen Sondensignal angezeigt, wann dieser den Beckenboden erfolgreich anspannt. Bei der Elektrostimulation wird die Beckenbodenmuskulatur mittels milder therapeutischer Ströme indirekt stimuliert.
Des Weiteren kann der behandelnden Arzt Medikamente (z.B. Duloxetin) verschreiben; leider kommt es bei diesem Medikament jedoch häufig zu unerwünschten Nebenwirkungen, wie z.B. Übelkeit und Schwindel [4]. Bei Frauen können östrogenhaltige Vaginalcremes Anwendung finden [5].
Führen oben genannte Maßnahmen zu keinen oder nur unzureichenden Erfolgen, kann eine Operation in Frage kommen. Dies stellt immer eine Einzelfallentscheidung dar und Vor- und Nachteile einer Operation sollten stets mit dem behandelnden Arzt abgewägt werden.
Heutzutage kommt bei der Therapie einer Belastungsinkontinenz vor allem die Methode der spannungsfreien Schlinge zum Einsatz [6]. Je nach Operationsverfahren ist diese Maßnahme als „tension-free vaginal tape“(TVT) oder „trans-obturator tape“ (TOT) bekannt [5]. Es handelt sich hierbei um einen minimalinvasiven Einsatz, bei dem eine künstliche Schlinge unter die Harnröhre platziert wird [6].
Wenn alle anderen Methoden versagen, kann der operative Einsatz eines künstlichen Schließmuskels in Frage kommen [6].
Alle oben genannten Therapieoptionen haben die Linderung der Inkontinenzproblematik zum Ziel. Kann die Inkontinenz jedoch nicht oder nur unzureichend therapiert werden, so kommen Hilfsmittel, wie z.B. Pessare („Scheideneinlagen“) oder Vaginal-Tampons zum Einsatz [4]. Bei Pessaren handelt es sich um Silikonringe, -schalen oder -würfel, die tagsüber so in die Scheide (nicht in die Harnröhre!) eingeführt werden, dass sie die Harnröhre von außen stützen. Sie haben jedoch zum Nachteil, dass es bei längerer Anwendung zu Druckgeschwüren kommen kann. Der Einsatz von Pessaren sollte daher unter ärztlicher Anleitung geschehen. Vaginaltampons werden ebenso in die Scheide eingeführt und üben so einen Druck auf die vordere Scheidenwand aus. Dies wiederum soll ebenso den Schließmuskel stützen. Weitere Hilfsmittel sind Slip-Einlagen und spezielle Unterhosen, die abgegangen Urin aufsaugen und so vor Nässe und Geruch schützen.
Wann bestehen ernsthafte gesundheitliche Risiken?
Eine Belastungsinkontinenz führt in der Regel nicht zu direkten körperlichen Risiken, sollte jedoch trotzdem ernst genommen werden. Laut Fachliteratur suchen nur ein Drittel aller Betroffenen ärztliche Hilfe auf; der Grund dafür ist meist ein mit der Thematik verbundenes Schamgefühl [2]. Als Folge wird die Inkontinenz nicht oder nur unzureichend behandelt.
Die größten gesundheitlichen Risiken der Inkontinenz sind ein sozialer Rückzug und Depressionen; diese seelische Belastung kann die Inkontinenzproblematik wiederum verschlimmern und so zu einem Teufelskreis führen [2]. Betroffene sollten daher frühstmöglich ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen, denn eine Belastungsinkontinenz kann in vielen Fällen gut behandelt werden.
Quellen:
[1] Lexikon der Krankheiten und Untersuchungen. Georg Thieme Verlag, 2008, S. 388.
[2] „Institut für Psychosomatik und Verhaltenstherapie: Inkontinenz“ http://www.psychosomatik.at/uploads/lexikon_pdf/inkontinenz.pdf, 24.02.2018
[3] „Blasenschwäche/Harninkontinenz/Formen: Belastungs- oder Stressinkontinenz.“https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/Belastungs-oder-Stressinkontinenz.115220.0.html, 22.02.2018
[4] „Konservative Therapie der Belastungsinkontinenz.“, http://www.klinikum.uni-muenchen.de/Urologische-Klinik-und-Poliklinik/de/patienteninformation/inkontinenz_frau/Therapie_Belastungsinkontinenz/konservativ/index.html, 21.02.2018
[5] R. Hautmann, J. E. Gschwend: Urologie. Springer-Verlag, 2014, S. 123.
[6] „Operative Therapie der Belastungsinkontinenz.“, http://www.klinikum.uni-muenchen.de/Urologische-Klinik-und-Poliklinik/de/patienteninformation/inkontinenz_frau/Therapie_Belastungsinkontinenz/operativ/index.html“, 21.02.2018