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Stressinkontinenz: Definition, Ursachen & Therapie

Das Wort Stressinkontinenz ist irreführend, denn schnell wird der Begriff „Stress“ mit psychischem Stress in Verbindung gebracht. Eine Stressinkontinenz hat jedoch damit nichts zu tun. Folgender Artikel wird die Begrifflichkeit erläutern und den Leser über das Krankheitsbild aufklären.

Das Wichtigste in Kürze

Synonyme: Belastungsinkontinenz
Engl.: stress incontinence
ICD-Code für diese Krankheit: N39.3
Verbreitung in der Bevölkerung: Häufig
Geschlechterverteilung: 95% Frauen, 5% Männer
Altersverteilung: Häufigkeit steigend mit zunehmendem Alter
Häufigste Ursachen: Schädigung oder altersbedingte Schwäche des Blasen-Schließmuskelapparats.
Selbstdiagnose möglich: Ja. Zur Ursachenabklärung aber Arzt erforderlich.
Selbstbehandlung ausreichend: Je nach Schweregrad.
Ab welchen Symptomen zum Arzt: Bei anhaltendem unwillkürlichem Abgang von Urin.

 

Was versteht man unter Stressinkontinenz?

Stressinkontinenz beschreibt ein Beschwerdebild, bei dem es unterkörperlicher Belastung, wie z.B. Treppensteigen und Heben, zum ungewollten Abgang von Harn (Harninkontinenz) kommt. Die Namensgebung leitet sich demnach von „körperlichem“ und nicht, wie oft fälschlich in Verbindung gebracht, „emotionalem“ Stress ab. Heutzutage wird das Beschwerdebild vermehrt als Belastungsinkontinenz bezeichnet, denn dieser Begriff hebt die Komponente der körperlichen Belastung als Auslöser der Harnabgangs besser hervor. Typisch für die Stressinkontinenz ist ein ungewollter Urinabgang, ohne zuvor eingetretenem Harndrang. Dies unterscheidet die Stressinkontinenz von der sogenannten Dranginkontinenz. Symptome von Stress- und Dranginkontinenz können jedoch auch gemeinsam auftreten; man spricht dann von einer sogenannten Mischinkontinenz.

Warum aber kann körperliche Belastung einen Harnabgang auslösen?

Um dies verständlich zu machen, ist es hilfreich die Funktion des Harnsystems näher zu beleuchten.

Die Blase und deren Funktion

Die Blase ist ein muskuläres Hohlorgan, das der Speicherung von Harn (Urin) dient.

Urin ist ein sogenanntes „Abfallprodukt“ des Körpers, das bei der Filterung von Blut anfällt. Diese Aufgabe des Filtern übernehmen die paarig angelegten Nieren. Von dort wird der kontinuierlich produzierte Urin über die Harnleiter an die Blase weitergeleitet. Der Teil, der den Urin beim Wasserlassen nach außen leitet, wird Harnröhre genannt.

Damit die Blase den Urin „lecksicher“ halten kann, verfügt das System über raffinierte Schließmuskel. Zum einen befindet sich ein Schließmuskel direkt am Blasenausgang, zum anderen dienen Muskelstränge des Beckenbodens, durch den die Harnröhre hindurchzieht, dem Verschluss des Harnsystems. Von diesen beiden Verschlussmechanismen, lässt sich nur der Anteil im Beckenboden willentlich steuern. Wenn die Blase ihre Füllkapazität erreicht hat, wird diese Information an das Gehirn weitergeleitet – Harndrang wird wahrgenommen, eine Toilette aufgesucht und die Blase entleert.

Wie beeinflusst nun körperliche Belastung dieses System?

Da die Blase im Becken zu liegen kommt und somit in direkter Nachbarschaft zum Bauchraum steht, können Druckveränderungen im Bauchraum Einfluss auf die Blase nehmen. Bei körperlicher Belastung wie Heben von schweren Lasten, erhöht sich der Druck im Bauchraum. Dieser Druck drückt wiederum auf die Blase, so dass das Schließmuskelsystem höheren Kräften ausgesetzt ist. Weitere Beispiele für Situationen, in denen es bei Vorliegen einer Stressinkontinenz zum Urinabgang kommt sind Husten, Niesen und Lachen; denn auch hier kommt es zu erhöhten Drücken im Bauchraum. Eine gesunde Blase kann solchen Kräften in der Regel standhalten.

Wie kommt es zur Stressinkontinenz?

Ist das oben beschriebene System der Blase und des Schließmuskels geschwächt, so kommt es zu einer Inkontinenz, also zum ungewollten Abgang von Urin.

Die häufigste Ursache einer Stressinkontinenz bei Frauen ist eine Schwäche des Beckenbodens und demnach eine Funktionsverminderung des dortigen Schließmuskels [1]. Gründe für eine Beckenbodenschwäche sind zahlreich. In den meisten Fällen ist sie altersbedingt oder wird durch Schwangerschaft und/oder Entbindung hervorgerufen. Während der Schwangerschaft übt die Gebärmutter kontinuierlich Druck auf den Beckenboden aus; dies belastet die Strukturen. Bei der Entbindung muss das Kind durch den Beckenboden durchtreten; das Gewebe wir somit zusätzlich beansprucht. Dies ist der Grund, warum Frauen nach der Entbindung ein Beckenbodentraining empfohlen wird.

Ebenso kann eine Operation im Beckenbereich zu Schäden der dortigen Strukturen führen. Es muss hierbei nicht der Beckenboden selbst in Mitleidenschaft gezogen werden; auch die Verletzung von versorgenden Nervenbahnen kann Ursache sein.

Bei Männern kann eine Stressinkontinenz nach der operativen Entfernung der Prostata auftreten.

Seltene Ursachen einer Stressinkontinenz sind Tumore im Bereich von Blase und/oder Harnröhre.

Schweregrade der Stressinkontinenz

Die Stressinkontinenz wird üblicherweise in drei Schwergrade aufgeteilt:

Grad 1: Geringer Harnverlust bei Husten, Niesen, Lachen

Grad 2: Deutlicher Harnverlust bei leichter körperlicher Arbeit, beim Treppensteigen oder Aufstehen

Grad 3: Urinverlust bereits im Stehen und Liegen [2]

Was kann gegen eine Stressinkontinenz getan werden?

Ob und wie eine Stressinkontinenz therapiert werden muss, hängt vom Schweregrad und dem individuellen Leidensdruck des oder der Betroffeneren ab.

Prinzipiell wird versucht, die Beschwerden vorrangig mit Allgemeinmaßnahmen und, wenn nötig, mit Medikamenten zu therapieren. Wenn dies keine Besserung bringt, können operative Verfahren in Betracht gezogen werden.

Zu den Allgemeinmaßnahmen gehören eine Gewichtsreduktion bei bestehendem Übergewicht, um den Beckenboden zu entlasten, sowie ein gezieltes Beckenbodentraining.

Das Beckenbodentraining kann von einem Krankengymnasten erlernt und dann in Eigenregie durchgeführt werden. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, welche Muskeln hier trainiert werden sollen, ist es hilfreich während dem Wasserlassen zu versuchen den Strahl zu unterbrechen. Frauen können sogenannte Vaginalkegel anwenden, um das Training effektiver zu gestalten.

Wenn es Menschen schwerfällt die Beckenbodenmuskulatur gezielt anzuspannen, können Alternativmethoden wie das Biofeedback-Verfahren oder die elektromagnetische Beckenbodenkontraktion unterstützend eingesetzt werden [1][3]. Hierbei wird die Kontraktion der Muskeln mit Hilfe von Geräten hör – oder sichtbar gemacht oder die Muskulatur mittels Elektrodenstimulus passiv angespannt (kontrahiert).

Generell sind Sportarten, bei denen der Beckenboden nicht belastet aber trainiert wird, empfehlenswert. So haben beispielsweise Studien gezeigt, dass Yoga zu einer Besserung der Inkontinenz bei Frauen beitragen kann [4].

Bei Frauen in den Wechseljahren oder bei anderweitigem Östrogenmangel können Östrogenpräparate helfen die Beschwerden zu lindern.

Des Weiteren existieren Medikamente, die die Aktivität des Schließmuskels stärken (sogenanntes Duloxetin) [3].

Operative Verfahren sind beispielsweise die Straffung des Beckenbodens sowie das Anheben von Blase und Harnröhre [1]. Des Weiteren existieren Verfahren bei denen der Harnblasenausgang mit dafür geeigneten Substanzen unterspritzt wird, um den dortigen Schließmuskel in seiner Funktion zu unterstützen [1].

Falls die Inkontinenz nicht gänzlich behandelt werden kann, so stehen Betroffenen Hygieneprodukte, wie z.B. Einlagen, zur Verfügung. Diese saugen den abgegangenen Harn auf und beugen so Feuchtigkeit im Schambereich als auch Geruchsbildung vor.

Viele Städte Deutschlands bieten außerdem sogenannte Toilettenführer an, um Menschen mit Inkontinenz ein schnelleres Aufsuchen der Toilette zu erleichtern .

 

Quellenangaben

 

[1] „Blasenschwäche bei Frauen: Behandlungsmethoden – Belastungsinkontinenz.“, https://www.bgv-blasenschwaeche.de/belastungsinkontinenz.html, 21.11.2018

[2] „Institut für Psychosomatik und Verhaltenstherapie: Inkontinenz“ http://www.psychosomatik.at/uploads/lexikon_pdf/inkontinenz.pdf, 24.02.2018

[3] „Stressinkontinenz (Belastungsinkontinenz)“, https://www.amboss.com/de/wissen/Stressinkontinenz, 21.11.2018

[4] A. J. Huang et al.: „A Group-Based Yoga Therapy Intervention for Urinary Incontinence in Women: A Pilot Randomized Trial.“, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4310548/, 21.11.2018

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