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Dranginkontinenz: Definition, Ursachen & Therapie

Synonyme: Drangharninkontinenz, Urge-Inkontinenz
Engl.: urge urinary incontinence
ICD-Code: N39.42
Verbreitung: Häufig
Geschlechterverteilung: 95% Frauen, 5% Männer
Altersverteilung: 40-49 Jährige: 5%, 50-59 Jährige: 10%, 60-79 Jährige: 19%, >80 Jährige: 45%
Häufigste Ursachen: Überaktivität der Blasenmuskulatur (Detrusorhyperaktivität).
Selbstdiagnose möglich: Ja. Zur Ursachenabklärung aber Arzt erforderlich.
Selbstbehandlung ausreichend: Nein.
Ab wann zum Arzt: Bei wiederkehrendem starkem Harndrang und/oder unwillkürlichem Abgang von Urin.

Die Dranginkontinenz, abgeleitet aus dem Englischen auch oft als Urge-Inkontinenz bezeichnet, stellt eine Form der Harninkontinenz dar. Sie ist gekennzeichnet durch einen plötzlichen und  unkontrollierbaren (imperativen) Harndrang in Zusammenhang mit einem ungewollten Harnabgang [1]. Die Namensgebung beruht demnach auf der, für diese Inkontinenzform typische, Drangsymptomatik [2]. Ursächlich für eine Dranginkontinenz ist zumeist eine Überaktivität der Blasenmuskulatur, die wiederum auf verschiedene Faktoren zurückgeführt werden kann. Je nach Ursache unterscheiden sich die möglichen Therapieansätze. Im folgenden Artikel wird das Beschwerdebild der Dranginkontinenz und dessen Therapiemöglichkeiten näher erläutert.

Dranginkontinenz, Stressinkontinenz und das Syndrom der überaktiven Blase

Heutzutage existieren zahlreiche Definitionen und Einteilungen bezüglich des breiten Themas der Harninkontinenz. Dies kann sowohl unter Ärzten, als auch unter Laien, zur Verwirrung führen. Hinzu kommt, dass es besonders im fortgeschrittenen Alter zum gleichzeitigen Auftreten verschiedener Inkontinenzformen kommen kann. So kommt es beispielsweise besonders bei älteren Frauen zu einem gleichzeitigen Auftreten von Drang- und Stressinkontinenz. Man spricht dann von einer sogenannten Mischinkontinenz.

Eine weitere Stolperfalle beim Verstehen der Thematik, ist die Beziehung zwischen Dranginkontinenz und dem Syndrom der überaktiven Blase (engl.: overactive bladder syndrome  = OAB-Syndrome). Die beiden Begriffe werden zwar oft als Synonym verwendet, beschreiben jedoch zwei unterschiedliche Beschwerdebilder: Die Dranginkontinenz kann ein Symptom des Syndroms der überaktiven Blase sein; dieses kann jedoch auch ohne Harnabgang einhergehen, wobei es bei der Dranginkontinenz laut Definition immer zu einem unwillkürlichen Harnabgang kommt [1].

Dranginkontinenz: Woran kann das liegen?

Die Nieren haben zur Aufgabe unaufhörlich das Blut zu reinigen. Bei diesem Prozess entstehen täglich etwa 1 bis 1,5 Liter Harn (Urin). Dieser wird über die Harnleiter in die dehnbare Harnblase geleitet, die so als Speicherorgan dient. Ihr Fassungsvermögen beträgt in etwa 550 ml Urin; Harndrang setzt in aller Regel jedoch bereits bei einer Füllmenge von 150 bis 200 ml ein [3]. Diesem Harndrang kann im Normalfall bis zu einer gewissen Füllmenge willentlich gegengesteuert werden. Beim Aufsuchen der Toilette zieht sich der Blasenmuskel (Detrusor) zusammen und die Blase wird entleert.

Dieser Vorgang wird vom Gehirn und zahlreichen Nervengeflechten gesteuert, wobei sowohl hemmende als auch stimulierende Signale an den Blasenmuskel gesendet werden. Je nachdem welche Signale überwiegen, bleibt der Muskel entspannt oder zieht sich zusammen.

Bei der Dranginkontinenz liegt zumeist eine ungehemmte Kontraktion des Muskels oder eine übersteigerte Blasensensibilität vor [1]. Dies führt dazu, dass sich die Blase bereits bei minimaler Füllmenge zusammenzieht; Folge dieser Kontraktion ist starker Harndrang und Harnverlust. Menschen mit einer Dranginkontinenz müssen typischerweise sehr häufig und auch Nachts zur Toilette (mehr als 8 mal in 24h), wobei nur kleine Mengen Urin ausgeschieden werden [3][4].

Die Ursachen für eine sogenannte Detrusorhyperaktivität sind zahlreich. Jegliche Grunderkrankungen, die in den oben beschriebenen Vorgang eingreifen, können ursächlich sein: So können beispielsweise Harnwegsinfekte, Blasensteine oder Blasentumore die Blasenwand irritieren und so zu einer übersteigerten Blasensensibilität führen. Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus, Parkinson oder Multiple Sklerose können über Störungen des Gehirns oder der Nerven die Blasenmuskulatur enthemmen. Des Weiteren können psychische oder altersbedingte Faktoren ursächlich sein [3]. Auch Medikamente stehen auf der Ursachenliste der Dranginkontinenz: hierunter fallen unter anderem Mittel, die bei der Demenztherapie zum Einsatz kommen (Cholinergika), sowie Herzmedikamente (Betarezeptorenblocker, Digitaliswirkstoffe) [1]. In manchen Fällen kann keine klare Ursache für die Detrusorhyperaktivität gefunden werden. Man spricht dann von einer idiopathischen Dranginkontinenz.

Wie können die Beschwerden gelindert werden?

Die Dranginkontinenz muss je nach Ursache individuell behandelt werden. Demnach sollte im Falle einer behandelbaren Grunderkrankung (wie z.B. ein Harnwegsinfekt) diese gezielt therapiert werden. Ist dies nicht oder nur unzureichend möglich oder kann keine spezifische Ursache gefunden werden, so werden Behandlungsmethoden angewendet, die in erster Linie die Detrusorhyperaktivität reduzieren [5].

Bei der Therapie werden nicht operative (konservative) und operative Methoden unterschieden, wobei alle konservativen Therapien ausgeschöpft werden sollten, bevor es zu einem operativen Eingriff kommt.

Zur konservativen Therapie zählen Entspannungs-, Blasenund/oder Beckenbodentraining [4][5]. Sie alle haben zum Ziel Harndrang und ungewollten Harnabgang besser kontrollieren zu können.

Des Weiteren können Medikamente eingenommen werden. Hierunter fallen Mittel aus der Gruppe der sogenannten Anticholinergika (z.B. Trospiumchlorid, Tolterodin) und/oder Alpha-1-Blocker (z.B. Tamsulosin, Alfuszosin); sie weisen eine hemmende Aktivität auf die Blasenmuskulatur auf [5]. Es sei erwähnt, dass genannte Medikamente zu Nebenwirkungen führen können und nur in Absprache eines Arztes eingenommen werden sollten.

Gegebenenfalls können Wirkstoffe, die die Blasenmuskulatur hemmen, auch mittels Katheter direkt in die Blase eingebracht werden [5].

Eine weitere Behandlungsmethode ist das Einspritzen von Botulinum-Toxin in die Harnblasenwand; das Toxin hemmt vorübergehend (etwa 9 Monate) die Aktivität des Blasenmuskels [4].

Eine operative Therapie ist im Falle einer Dranginkontinenz nur sehr selten notwendig [5]. Ist sie jedoch unumgänglich, so existieren Methoden wie z.B. die sakrale invasive Neuromodulation. Hierbei werden Elektroden an blasenversorgende Nerven nahe des Steißbeins (Sakrum) implantiert, um auf deren Aktivität direkt einzuwirken. Eine weitere Methode ist die operative Vergrößerung der Blasenkapazität (sogenannte Blasen-Augmentation) [5].

Neben oben genannten Therapiemethoden, können zusätzlich Hilfsmittel, wie z.B. Slip-Einlagen und spezielle Unterhosen, die abgegangen Urin aufsaugen und so vor Nässe und Geruch schützen, zum Einsatz kommen.

Wann bestehen ernsthafte gesundheitliche Risiken?

Jede Dranginkontinenz stellt insofern ein gesundheitliches Risiko dar, indem sie unbehandelt zu nicht umkehrbare Strukturveränderung der Harnblase führen kann [4]. Des Weiteren stellt sie ein Risiko für die Entstehung von Infektionen in Blase und Nieren, sowie für Stürze bei älteren Menschen dar [1][2]. Außerdem kann jede Harninkontinenz die Entwicklung einer Vereinsamung und Depression fördern, denn aus Schamgefühl und Angst vor dem Malheur ziehen sich Betroffene oftmals zurück und reden nicht über die Problematik [2]. Einschränkungen im Arbeits– sowie im Sexuallebens sind weitere Folgen.

Betroffene versuchen oftmals die Problematik zu kontrollieren, indem sie weniger trinken. Dies steigert jedoch die oben genannte Infektionsgefahr um ein Weiteres und ist zudem ein Risikofaktor für die Entstehung von Nierensteinen. Eine ausreichende Trinkmenge ( 2 Liter pro Tag) sollte also stets eingehalten werden.

Quellen: 

[1] „Gesundheitsberichterstattung des Bundes – RKI: Heft 39, Harninkontinenz.“, http://edoc.rki.de/documents/rki_fv/ren4T3cctjHcA/PDF/26Herxag1MT4M_31.pdf, 11.03.2018

[2] D. von Fournier: Gynäkologie und Geburtshilfe: Lehrbuch für Studium und Praxis. Schattauer Verlag, 2007, S. 444, S. 446, S. 471.

[3] H. U. Schmelz, C. Sparwasser, W. Weidner: Facharztwissen Urologie: Differenzierte Diagnostik und Therapie. Springer-Verlag, 2014, S.441, 471.

[4] U. Rebmann, D. Wießner: „Urology Guide: Dranginkontinenz.“, https://www.urology-guide.com/erkrankungen/blasenentleerungsstoerungen/dranginkontinenz/, 11.03.2018

[5] R. Hautmann, J. E. Gschwend: Urologie. Springer-Verlag, 2014 S. 125f.

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